Die Nation erwacht


Die Nation erwacht

Sechs Jahre nach der Veröffentlichung von „Modell Vergangenheit“ und drei Jahre nach der deutschen Einheit habe ich mich erneut mit den „Rechten“ im Lande beschäftigt. In der Zwischenzeit war ich ausgepfiffen und verunglimpft worden, es verging kaum eine Veranstaltung ohne wüste Beschimpfungen. Aber die deutsche Einheit hatte etwas verändert. Die politische Kultur hatte sich verschoben. Viele Menschen in den nun so genannten „Fünf neuen Ländern“ waren ins kalte Wasser geworfen worden: Die Mehrheit der Ostdeutschen hatte bis 1990 ein Leben in Diktaturen verbracht. Alle unter 60Jährigen ehemaligen DDR-Bürger kannten Freiheit nur in einer sehr eingeschränkten Form. 

Ein ostdeutscher Psychiater schrieb in dieser Zeit, die ostdeutschen Bundesbürger seien auf der Suche nach Befehlsständen, die ihnen bis dahin von der SED, der „Sozialistischen Einheitspartei“ der DDR, geboten worden seien. Eigentlich gehörten sie auf die Couch eines Psychiaters, um sich auf die neue Zeit vorzubereiten. So aber sei ein luftleerer Raum entstanden, in dem sich die neuen Bundesbürger nicht zurechtfinden würden. In dieses Vakuum versuchte die vorher vor allem in der ehemals „alten“ Bundesrepublik angesiedelte „Neue Rechte“ zu stoßen. „Klar zur Wende“ hieß es u.a. bei den Republikanern, einer von ehemaligen CSU-Mitgliedern gegründeten rechtsextremen Partei, die Hallen füllte und ausländerfeindliche Parolen unters Volk brachte. Ins gleiche Horn blies die „Deutsche Volksunion“. Die war in Händen eines schwer reichen Verlegers, der u.a. die „Nationalzeitung“ veröffentlichte, die das rhetorische Begleitwerkzeug für rechtsterroristische Täter bereithielt.  Aber es war nicht nur bei Parteien geblieben, die zur Not auch mit dem Verfassungsschutz hätten bekämpft werden können. Ungeahnte Hilfe gab es von eher unverdächtigen Wochenmagazinen. Im April 1992 erschien eine Photomontage auf einem der Titelblätter, die dem unvoreingenommenen Betrachter suggerierte, Deutschland werde in der Flut von Flüchtlingen untergehen. Kurz danach findet sich im gleichen Magazin die Werbeanzeige einer Lautsprecherfirma, die mit einer Wehrmachtsmütze und dem Satz „Der kleinste Lautsprecher seit Josef G.“ auf Kundenfang ging. Schließlich marschieren martialisch gekleidete junge Männer in Breeches Hosen und Militärstiefeln über eine Pflasterstraße, die dem Bodenbelag des Nürnberger Reichsparteitagsgelände nachempfunden war, zu Werbezwecken durch die Seiten eines anderen Magazins. 

All diese Versuche waren darauf angelegt, ein Zukunftsbild zu entwerfen, das unter dem Motto stand „Vorwärts, wir marschieren zurück!“ Das „neue“ Deutschland sollte nach „alten“ Idealen gestaltet werden. Ausländer, demokratisches Mit- und Gegeneinander oder die viel gescholtene Multikulturalität sollten darin keinen Platz haben. Und der in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommene Zorn auf die vielen Neuerungen durch deutsche Einheit, auf die schlechte wirtschaftliche Situation mit hoher Arbeitslosigkeit und einer niedergegangenen ostdeutschen Wirtschaft entluden sich in Brandanschlägen auf Ausländerheime oder Wohnanlagen, in denen viele Ausländer wohnten: 1990 in Stuttgart, 1991 in Greifswald, 1992 in Rostock- Lichtenhagen, 1993 in Solingen und München. Fünf Tote und knapp 100 zum Teil Schwerverletze waren die Folgen. 

Aber weder brennende Unterkünfte für Asylbewerber oder Ausländer, noch Tote und Verletzte haben dafür gesorgt, dass es zu einem Umdenken kommt. Ganz im Gegenteil: Die Gewaltbereitschaft gegen Fremde hat knapp 30 Jahre nach den Ereignissen von Rostock oder Solingen noch zugenommen. Der Anschlag auf die Synagoge von Halle Anfang Oktober 2019 hätte Dutzende Opfer unter der jüdischen Gemeinde gefordert, wenn die massive Eingangstür den Schüssen des Täters nicht standgehalten hätte. Im Inneren des Gotteshauses waren jüdische Gläubige an Jom – Kippur, dem jüdischen Versöhnungsfest und höchsten Feiertag, versammelt. Sie wären Opfer eines Massakers geworden, wenn sich der Täter Zugang zu ihrer Synagoge hätte verschaffen können.